App auf Rezept

In Österreich begegnet man technischen Innovationen in der Regel mit Skepsis, wenn nicht sogar mit Ablehnung. Beispiele dafür wären Atomenergie, Gentechnik oder IT-Entwicklungen. Auch wenn diese Skepsis in manchen Fällen berechtigt ist, lohnt es sich doch, ab und zu auch die Vorteile neuer Möglichkeiten zu untersuchen. Für den Bereich Psychotherapie waren etwa Online-Angebote bis 2020 generell verboten. Mit Beginn der Coronakrise und der Notwendigkeit des Social Distancings hat sich das sehr rasch geändert. Plötzlich durfte Psychotherapie auch via Skype, Zoom, MS Teams oder spezialisierten Seiten wie Instahelp angeboten werden. Mit der Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz und der Entwicklung spezifischer Apps dürften weitere niederschwellige Angebote hinzukommen.

Inzwischen werden Psychotherapie-Apps entwickelt, die Psychotherapie begleiten und unterstützen sollen. Die App Moodistory habe ich bereits in einem früheren Beitrag vorgestellt (vgl. Artikel Moodistory, das Stimmungstagebuch). In Deutschland werden Online-Therapieprogramme bereits seit 2020 auf Rezept verschrieben, was noch in diesem Jahr auch in Österreich möglich werden soll (Quelle: Depression per App bekämpfen).

In diesem Beitrag möchte ich Skepsis, Vorbehalte und Bedenken anderen überlassen und lediglich die Vorteile derartiger Apps beleuchten:

  • Psychotherapie-Apps ermöglichen Menschen rund um die Uhr Zugang zu hilfreichen Werkzeugen, um etwa eine schlechte Stimmung zu überwinden, einem akuten Angstanfall entgegenzuwirken oder den Tag zu strukturieren.
  • Übungen und Tipps derartiger Apps sind leicht in den Alltag integrierbar. Funktionen wie etwa eine Tagebuchfunktion ermöglichen es, Stimmungen über einen längeren Zeitraum zu protokollieren, um Alltagssituationen zu identifizieren, die als belastend und/oder hilfreich erlebt werden. Die Idee dahinter: Nur wenn ich genau Bescheid weiß, wie ich auf bestimmte Stressoren reagiere, kann ich auch sinnvoll entgegenwirken.
  • Durch die begrenzte Anzahl von voll finanzierten Kassenplätzen und die Überlastung zahlreicher Psychotherapie-Praxen, können Klient:innen bereits in der Zeit bis zum Beginn der Therapie etwas für sich selbst tun. Eventuell können sie auch bereits im Vorfeld herausfinden, was ihnen eher hilft und was sie als nicht so hilfreich empfinden.
  • Während und nach einer Therapie können Psychotherapie-Apps zur Prävention und Rückfallprophylaxe eingesetzt werden. Selbst bei erfolgreicher Therapie können Rückfälle nicht immer vermieden werden. Allerdings ist häufig schon viel gewonnen, wenn der depressive Stimmungseinbruch oder der Angstanfall jetzt nicht mehr zwei Wochen, sondern nur noch wenige Stunden dauern. Hier können Apps eine Unterstützung und Erinnerungshilfe sein, was ich akut tun kann bzw. auch, was mir früher geholfen hat.
  • Apps können auch eine wichtige Motivationshilfe darstellen, weil etwa durch Visualisierungen gezeigt werden kann, dass sich schon einiges verbessert hat. Beispiele dafür wären: gespartes Geld seit dem Ende des Rauchens, trockene Tage eines Alkoholikers, Tage guter Stimmung oder ähnliches.
  • Die intensivere Beschäftigung mit dem eigenen Befinden und die Achtsamkeit gegenüber sich selbst kann unter Umständen auch eine sehr gute Vorbereitung für eine Psychotherapie sein. Insbesondere Menschen, die sich noch nie mit Psychotherapie beschäftigt haben, wissen oft nicht, was Psychotherapie ist, was dort von ihnen erwartet wird und worauf es ankommt. Apps können hier vorbereitend wirken, indem der Fokus auf Gefühle, Stimmungen, Körperempfindungen und Gedankenmuster gelenkt wird.

Psychotherapie-Apps können eine Psychotherapie sicherlich nicht ersetzen, aber bei guter Begleitung können sie aus meiner Sicht eine wichtige Ergänzung darstellen.

Übrigens gibt es schon lange eine Offline-Möglichkeit, Psychotherapie zu unterstützen und zu begleiten, nämlich das Tagebuch. In dieses Tagebuch können aktuelle Ereignisse, Einfälle, Träume, Fragen an den Therapeuten oder auch Selbstbeobachtungen notiert werden. Dies erhöht erfahrungsgemäß die Therapiemotivation und die Selbstwirksamkeit. Derartige Tagebücher werden auch in der Medizin schon sehr lange erfolgreich eingesetzt. Etwa als Kopfschmerztagebücher, um die neurologische Ursache von Kopfschmerz näher zu bestimmen oder als Schlafprotokolle, um die Ursachen von Schlafstörungen zu klären und beseitigen zu helfen. Psychotherapie-Apps erweitern und ergänzen diese Möglichkeiten. Psychotherapie ist ja ganz wesentlich auch Hilfe zur Selbsthilfe und wo ich mich selbst besser kenne und verstehe, kann ich Krisen auch leichter und rascher überwinden.

Bildquelle

App Moodistory